Debatte: It hits you like a boomerang

Jedes Jahr gibt es in Göttingen und anderen Städten zum Frauenkampftag Demonstrationen und Veranstaltungen, die Sexismus anprangern und den Feminismus feiern. Wir sind unzufrieden damit, weil uns daran etwas fehlt. Wir bemühen uns deshalb um eine solidarisch-kritische Weiterentwicklung der Debatte und eine feministische Gesellschaftskritik. Wir gehen davon aus, dass der Kern des Problems darin besteht, dass eine bestimmte Lesart des Poststrukturalismus die Kapitalanalyse in weiten Teilen unterlässt und deshalb keine Kapitalismuskritik formulieren kann. Denn eine Kritik des Patriarchats funktioniert genauso wenig ohne eine des Kapitalismus wie umgekehrt.

Verkürzten Aufrufen folgt ritualisiert dann immerzu um den 8. März herum eine ebenso verkürzte Haupt-Nebenwiderspruchsrhetorik – like a boomerang. Von solch langweiligem Klassenreduktionismus marxistisch-leninistischer Theoriebildung wollen wir uns genau so abgrenzen wie von der bereits erwähnten Lesart des Poststrukturalismus.

Bei unseren Gedanken handelt es sich zunächst um aufeinander aufbauende Thesen, denen gerne mit Kritik und Diskussion begegnet werden darf. Wir würden uns freuen, eine lang überfällige Debatte über feministische Gesellschaftskritik anstoßen zu können.

  1. Dass der diesjährige Aufruf von einer Diskussion auf Monsters of Göttingeni begleitet wurde, zeigt immerhin, dass ein Bedürfnis nach innerlinken Diskussionen rund um das Thema Feminismus nach wie vor existiert.

  2. In der teilweise unsäglichen Diskussion wurde jedoch (von Nebenwiderspruchs-Vertreter_innen) versucht, das alte Modell der proletarischen Frauenbewegung in neuere Debatten hinein zu pressen. Wir finden es wichtig, sich geschichtsbewusst auf die historisch-theoretische Tradition zu beziehen, halten es aber für Quatsch, an den (in weiten Teilen) verkürzten Analysen festzuhalten. Vielmehr muss man konsequent über sie hinausgehen.

  3. Die proletarische Frauenbewegung war darum bemüht, den komplexen Zusammenhang von Patriarchat und Kapitalismus zu erfassen und aufzuzeigen. Dieser Versuch ist dem vereinfachten Haupt-Nebenwiderspruchsgedanken zum Opfer gefallen.ii Das Bestreben nach feministischer Theoriebildung wurde untergraben, indem die kommunistische Bewegung darauf verwies, dass darüber nach der proletarischen Revolution zu diskutieren sei. Bis dahin sollten Arbeiter und Arbeiterinnen gemeinsam für die proletarische Revolution kämpfen.

  4. Das Patriarchat wurde also durchaus als Herrschaftsform begriffen, seine Bekämpfung wurde aber zunächst dem Klassenkampf untergeordnet.iii Dementsprechend galt die Kritik an Patriarchat und Sexismus innerhalb der proletarischen Bewegung als Spaltungsversuch. So wurde sowohl die theoretische Analyse des Patriarchats erschwert, als auch ein feministischer Beitrag zur Aufhebung des Kapitalverhältnisses aufgeschoben. Genau das ist es, was sich gut 100 Jahre später noch immer in so naiven Parolen wie „Frauenkampf heißt Klassenkampf” widerspiegelt.iv Wir gehen im Gegensatz zum Haupt-Nebenwiderspruchsansatz davon aus, dass weder das Patriarchat ohne Kapitalverhältnis, noch das Kapitalverhältnis ohne Patriarchat aufgehoben werden kann.Es besteht unserer Meinung nach ein notwendiges wechselseitiges Verhältnis zwischen Patriarchat und Kapitalismus.

  5. Anstelle des Begriffs Patriarchat müsste man in der bürgerlichen Gesellschaft richtiger vom patriarchalen Prinzip des Kapitalverhältnisses (kurz: patriarchales Prinzip) sprechen. So würde die Trennung zwischen Formen männlich-personaler Herrschaft im Feudalismus und Ancien Regime und der abstrakten subjektlosen Gewaltform kapitalistischer Herrschaft deutlich. Durch eine derartige Begriffsbestimmung wird auch deutlich, dass es sich bei Patriarchat und Kapitalismus nicht etwa um zwei gesonderte Herrschaftsformen handelt, sondern um ein vermitteltes gesellschaftliches Ganzes. Das patriarchale Prinzip entstand in einem widersprüchlichen Prozess der Emanzipation von vor-bürgerlichen Herrschaftsformen.

  6. Durch die Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Entwicklung existierten vor-bürgerliche Formen von Herrschaft parallel zur Durchsetzung des patriarchalen Prinzips. Hierin ist auch eine mögliche Ursache für die Oberflächenanalyse der proletarischen Frauenbewegung und des späteren marxistisch-leninistischen Reduktionismus zu suchen: Es schien so, als wäre die Herrschaft durch die kollektive Identität „Mann“ auch in der bürgerlichen Gesellschaft noch der Dreh- und Angelpunkt des Patriarchats und nicht besonderer Ausdruck einer strukturellen Herrschaft. Nicht ein Denkfehler war Ursache dieser Analyse, sondern die notwendig falsche Erscheinung gesellschaftlicher Verhältnisse im Kapitalismus. Auch bezüglich des Marxismus-Leninismus lässt sich dieses Verharren auf der Oberfläche feststellen, da er einen reduktionistischen Klassenstandpunkt vertrat und, wo er nicht mit dem Realsozialismus untergegangen ist, noch vertritt.

  7. Dass der Aufruf solcherlei hanebüchenen Interventionen Platz bietet, liegt unseres Erachtens daran, dass der Feminismus in Göttingen sich in den letzten Jahren inhaltlich kaum weiter entwickelt hat. Das lässt sich unter Anderem am diesjährigen Aufruf zum 8. März recht gut ablesen. In diesem wird Gesellschaftskritik auf ein bloßes Nebeneinander von verschiedenen Herrschaftsausdrücken reduziert. Es findet aber keine Anstrengung statt, diese als Ausdruck gesellschaftlicher Totalität zu kritisieren, ihre Grundbedingung und ihren strukturellen Zusammenhang mit dem Kapitalverhältnis aufzudecken. Dadurch werden pauschale Urteile über Kopftücher und Black Block möglich, ungeachtet dessen, dass die Dinge nun mal weit komplexer sind, als sie im Aufruf und auf der Demo selbst suggeriert wurden.

    Die Demo arbeitete vielmehr mit reiner Identitätspolitik und begrüßte „FrauenLesbenTransQueerInterBisexuelleSchwule…“ und so weiter. Antifaschist_innen, Kommunist_innen und Anarchist_innen kamen nicht vor. In der gleichen Geste wurde der Schwarze Block mit Militanz und Männlichkeit in eins gesetzt und für diese Demo abgelehnt. Diese Rhetorik ließ einerseits keine Auseinandersetzung mit dem politisch-strategischen Konzept zu und schloss andererseits sich im Schwarzen Block organisierende Frauen und Queers gleich mit aus. Alle Queers und Feminist_innen sollten bunt und heterogen sein. Doch durch diese Gegenüberstellung findet eine klassische Rollenverteilung der bürgerlichen Gesellschaft wieder ihren Ausdruck. Ein weiterer Punkt, in dem sich das Problem der reinen Identitätspolitik, die sich nicht auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge bezieht, ausdrückt, bestand im Statement zu Kopftüchern. Die Debatte um das Verhältnis von Feminismus zu Kopftüchern und deren möglichen patriarchalen Gehalt wird damit abgetan, dass dessen Kritik als rassistisch aufgefasst wird. Von der Komplexität einer linksradikalen Debatte darum bleibt nichts mehr übrig.

  8. Das bloße Aneinanderreihen der verschiedenen Herrschaftsausdrücke verstehen wir als Konsequenz einer möglichen Rezeption der Postmoderne, die selber schon ein „Ende der großen Erzählungen“ proklamierte.v Die Krise des Marxismus in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, hat große inhaltliche Lücken hinterlassen. Diese versuchen poststrukturalistische Ansätze seitdem vergeblich zu füllen. Daraus folgte eine Politik, die sich mittlerweile häufig auf die moralische Ablehnung von Oberflächenphänomenen beschränkt.

  9. Hierdurch erhielt erneut ein vereinfachtes Freund/Feind-Denken Eingang in die feministische Debatte, welches sich letztlich – trotz dessen Zurückweisung – auf ein identitäres Politikkonzept zurückzieht. Denn nicht die Kritik der Verhältnisse und ihrer Bedingungen bilden die gemeinsame Grundlage der Praxis, sondern die gemeinsame Identität. Zwar ist man sich der Unzulänglichkeit bewusst, dies findet jedoch in der Praxis keinen Ausdruck. Unsere Kritik zielt dementsprechend darauf ab, dass in den Zusammenhängen derartiger Postmoderne-Rezipient_innen nur Identitätspolitik gemacht wird. Auch wenn dies als notwendiges Empowerment begriffen werden muss, darf diese Politikform die (feministische) Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht ersetzen.

  10. Wir wollen den Feminismus kritisieren und in dieser Bewegung für einen radikalen Feminismus streiten, der sich nicht scheut auch komplexe Zusammenhänge offen zu legen und sowohl von uns, als auch von allen anderen verlangt, Zeit und Mühe in die Praxis der Theorie zu investieren.

Auf den internationalen Frauenkampftag!

i) http://monsters.blogsport.de/2012/03/05/sa-10-3-demonstration-zum-frauenkampftag/ Hier findet sich auch der Aufruf der Veranstalter_innen zur Demonstration.

ii) Ein Beispiel für diesen Reduktionismus: „Leider wird immer noch die Frage nach Haupt- und Nebenwiderspruch missverstanden. Dabei besagt diese Frage folgendes: Ein Nebenwiderspruch kann erst gelöst werden, wenn der Hauptwiderspruch gelöst worden ist.“ (MoG)

iii „Gleichzeitig sage ich ausdrücklich, dass die Voraussetzung zur echten Überwindung der Geschlechterrollen in der Ökonomie liegt, ohne ein Selbstläufer zu entwickeln und somit ergibt sich auch die Notwendigkeit für uns (Kommies) über Fragen bspw. der Geschlechterrollen auseinanderzusetzen.“ (MoG)

iv „Deutlich wird hier aber eins: die Frauenfrage ist vor allem eine Klassenfrage. (…) Die Unterdrückung der Frau wird sich nicht ohne die Beantwortung Klassenfrage lösen lassen.“ (SDAJ)

v Es handelt sich hier um das theoretische Problem der Resignation vor der Komplexität gesellschaftlicher Totalität zugunsten von „kleinen Geschichten“ gesellschaftlich marginalisierter Gruppen (vgl. Jean-François Lyotard).