Interview – Burschenschafter sind Speerspitze des Antifeminismus

Ihr setzt euch ja jetzt gerade sehr stark mit dem männerbündischen Charakter von Burschenschaften auseinander. Warum vordergründig? Was soll denn das Besondere an diesen burschenschaftlichen Männerbünden sein?

Es wurde vielfach auf den nationalistischen, geschichtsrevisionistischen und meistens auch frauenfeindlichen Gehalt von Burschenschaften hingewiesen, aber selten das Männerbundprinzip als Grundlage kritisiert. Wir denken aber, dass sich ohne diese Auseinandersetzung der Kern von Burschenschaften gar nicht erklären lässt. Deshalb konzentrieren wir uns erstmal dadrauf – wobei die anderen Ideologien damit ja auch eng zusammen hängen.

Naja und zur Besonderheit: erst einmal ist ihre Organisationsform wesentlich expliziter und stabiler im Gegensatz zu anderen männlichen Netzwerken, z.B. Unternehmensvorständen oder sonstigen Seilschaften. Denn die Burschen verstehen sich als Lebensbund und schaffen sich so eine umfassende Ordnung, die bewusst nur auf das Männliche ausgerichtet ist. Der rituelle Charakter, also die Kneipe, die Mensur, die Kleidung usw., ist vielleicht darüber hinaus noch etwas, das ins Auge springt und erstmal einen Unterschied zu anderen Männerklüngeln darstellt.

Aber auf der anderen Seite sind sie gar nicht so besonders: vielleicht lassen sich an Burschenschaften ganz einfach Tendenzen des Normalzustandes ablesen. Sie sind schließlich so alt wie die bürgerliche Gesellschaft selbst. Seitdem prägen sie beispielsweise den Nationalismus mit und da, wo sich Emanzipationsbewegungen formierten, standen sie auf der anderen Seite: so während der ersten Welle des Feminismus um 1900.

Warum hebt ihr den Sexismus bei Burschenschaften so hervor? Vertreten die nicht Vorstellungen der Mehrheit?

Der Sexismus bei Burschenschaften ist schon krasser als bei vielen anderen Menschen – so kritisieren sie z.B. bestimmte „Gleichstellungsprogramme“ der europäischen Regierungen, die zwar auch nicht wirklich super, aber ja schon relativ etabliert sind. Andererseits sind die Burschen aber auch ganz „normal“: sie gehen davon aus, dass es zwei Geschlechter gibt und dass die einen natürlicherweise fürsorglicher sein sollen, die anderen besser abstrakt denken könnten und so was. So sehen das bekanntlich viele, sonst gäbe es nicht diese ganzen komischen Annahmen, die mit „Jägern und Sammlern“ argumentieren. Tatsächlich aber braucht es diese Vorstellung zweier entgegengesetzter Geschlechter, damit der Kapitalismus funktioniert.

Das heißt, ihr seht einen Zusammenhang zwischen der Art und Weise wie die Gesellschaft Reichtum produziert und der Geschlechtereinteilung?

Dass von zwei – und nur zwei – Geschlechtern ausgegangen wird, hat sich historisch erst nach und nach so durchgesetzt. Und das fiel nicht zufällig mit der Entstehung des Kapitalismus in eins. Denn während die einen dem Leistungsdruck und der Konkurrenz stand halten sollten, sollten die anderen genau das ermöglichen, indem sie sich zu Hause um Verpflegung und Nachwuchs kümmern mussten. In Wirklichkeit machten Frauen aber seit der Industrialiserung beides. Doch das passte nicht ins bürgerlich-konservative Weltbild, weshalb die früh anfingen, Frauen aus dem Arbeitsmarkt zu drängen. Männer wurden hingegen so gedacht, dass sie zivilisatorisch und arbeitsproduktiv seien, was eine krasse Härte abverlangt: jeden Tag acht oder mehr Stunden malochen zu müssen, ist eine Zumutung, die irgendwie aufgefangen werden muss. Dafür sind dann in dieser Logik die Frauen zuständig…

Und was haben Burschenschaften damit zu tun?

Naja, die waren immerhin eine der ersten Organisationen, die genau dieses bürgerlich-konservative Weltbild in Anschlag gegen die unterschiedlichsten Emanzipationsbestrebungen brachten. Um 1900 bekamen die Männerbünde in Abgrenzung zur Frauen- und ersten Homosexuellenbewegung eine immer wichtigere gesellschaftliche Bedeutung. Das ging aber übrigens auch grundsätzlich mit einer Abwehrhaltung gegen die Moderne einher. Es festigte sich ein aggressiver Nationalismus, Fortschrittsfeindlichkeit und ein autoritärer Charakter – also kurz: das Unterwürfige, das den Druck von oben nach unten weiter gibt. Das geht auch heute noch alles zusammen: da werden Männer erzogen, die, wie sie ja selber sagen, die Gesellschaft formen und einem bestimmten Weltbild entsprechen sollen, das auch die konservative Geschlechterordnung umfasst. Sie sind damit nach wie vor eine Speerspitze des Antifeminismus.

Diese Tendenzen sind ja kein Alleinstellungsmerkmal von Burschenschaften, oder?

Nein… die gibt‘s überall. Aber bei denen ist das Ganze auf ‘ne besondere Art organisiert. Dadurch, dass sie sich als Männerbund zusammenschließen und da keine Frauen „stören“, können die sich ganz der Nation hingeben. Im Männerbund, der keine Frauen braucht, kann alle Liebe auf die Kameradschaft und die Nation ausgerichtet werden. Aber die Sehnsucht nach nationaler Identität umfasst in der Tat mehr Leute als die paar Burschen. In Sachen Nationalismus stehen ihnen viele in nichts nach. Die Burschenschafter erleichtern es dem Großteil der deutschen Gesellschaft allerdings noch: denn – als selbsternannte Elite – führen sie sich gern auch mal als Tabubrecher auf, die sich für die nationale Sache einsetzen, wenn es zum Beispiel um Vertriebene oder auch schon mal um die ostdeutsche Grenzziehung geht.

Und warum gibt es heute überhaupt noch Burschenschaften? Sind die nicht längst überholt?

Die Burschenschaften können durch ihre Netzwerke Einfluss nehmen, als Richter, Betriebsvorstände oder Politiker wichtige Positionen in der Gesellschaft einnehmen. Das ist ja deren selbsterklärtes Ziel. Naja und wenn die mit diesen Vorstellungen einen medialen oder irgend einen anderen öffentlichen Raum kriegen, erhalten diese Eliten die Möglichkeiten, die sie brauchen, um bei bestimmten Themen den Ton anzugeben. Wenn ein Konservativer über Gerechtigkeit oder Gleichheit redet, ist das nunmal immer was anderes, als wenn jemand mit emanzipatorischen Vorstellungen das tut. Diese Netzwerke eignen sich daher auch heute noch wunderbar um gesellschaftliche Prozesse zu beeinflussen.

Und das, obwohl die kapitalistische Herrschaft abstrakt ist und erstmal nicht von Einzelpersonen abhängt. Trotzdem muss sie irgendwie organisiert werden. Sie sind ja nicht von ungefähr eine Kaderschmiede des Konservatismus, leisten die Burschen doch einen wesentlichen Beitrag zur Organisation des Kapitalismus. Die Härte, der Leistungsgedanke, die Vorstellungen von Ungleichheit… All‘ das sind wichtige Faktoren, die das Überleben in der kapitalistischen Gesellschaft extrem erleichtern.

Warum dann gegen Burschenschafter, wenn der Rest auch scheiße ist?

Sie treten erstmal offensichtlicher auf. Dadurch kann eine Kritik, die gleichzeitig auf den Rest der Gesellschaft zielt, gut bei ihnen ansetzen. Eigentlich sind Burschen mit ihren Vorstellungen gar nicht so besonders, aber dadurch, dass sie ein explizit antiemanzipatorisches Programm verfolgen, sollte man sie immer auch als das kritisieren was sie sind: in Form einer Institution schließen sie sich zusammen und versuchen durch ihr politisches Sendungsbewusstsein Einfluss zu erlangen. Sie spitzen die in der Gesellschaft weit verbreiteten Ideologien wie Rassismus, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus, sowie Konkurrenz und Nationalismus zu. Außerdem und das darf man nicht vergessen, sind sie bestens mit Nazis vernetzt und pflegen zum Teil auch freundschaftlichen Kontakt.

Aber die Frage ist schon berechtigt: wenn man das Augenmerk zu sehr auf die „krassen Burschenschaften” legt, dann verliert man die „ganz normalen Männerbünde“ und den Rest der Gesellschaft allzu schnell aus den Augen.