Männerbund als Gemeinschaft der Gleichen.

Zur psychologischen Funktion von Mensur und Kneipe

Der studentische Männerbund wäre nichts ohne jene zahlreichen rituellen Praktiken, die die Verbindungsstudenten selbst „studentisches Brauchtum“ nennen. Ein umfassendes und strenges System von Normen und Verhaltensvorschriften, der sogenannte Comment, regelt den Alltag auf dem Haus, die verbindungsstudentischen Feste und Bräuche. Doch die seltsamen Regeln und Rituale sind mehr als nur harmlose und etwas kauzige Traditionspflege. Sie erfüllen ganz spezifische soziale und psychologische Funktionen. Ihre soziale Funktion besteht in erster Linie in der Abgrenzung von der (als weiblich gedachten) „Masse“ und der Ausbildung eines antiegalitären männlichen Elitebewusstseins. Im Fokus dieses Artikels soll aber die psychologische Funktion stehen, die, so unsere These, in der Abwehr der Angst vor (Geschlechter-)Differenz durch die Herstellung einer Gemeinschaft der Gleichen besteht.

Diese These soll hier an den beiden wichtigsten Ritualen schlagender Verbindungen, der Mensur und der Kneipe, veranschaulicht werden. In der vorgenommenen Zuspitzung treffen die Thesen vermutlich nur auf pflichtschlagende Studentenverbindungen zu; der Tendenz nach gelten sie aber für alle korporationsstudentischen Männerbünde. Schließlich sind auch diejenigen Bünde, die keine Mensuren fechten, eine durch die strengen formalen Regeln des Comment strukturierte, sich in antiindividualistischen Ritualen konstituierende Männergemeinschaft. Daher soll in einem ersten Schritt zunächst auf die psychologischen Grundlagen des Männerbunds eingegangen werden, bevor im zweiten Schritt die konkreten korporationsstudentischen Praktiken analysiert werden.

Angst vor Differenz und Reinheitsphantasien

Die Institution Männerbund ist ein „Zusammenschluss der Identischen“1. Er ist Ausdruck der Angst vor Differenz im Allgemeinen und vor der Geschlechterdifferenz im Besonderen. Die Mitglieder des Männerbunds nehmen die Existenz von Differenzen und Widersprüchen als Bedrohung wahr, da sie dem Wunsch nach Vereinheitlichung, nach völliger Konflikt- und Widerspruchsfreiheit entgegensteht. Angstbesetzt sind für den Männerbündler daher insbesondere ‘die Frau’ und ‘das Weibliche’, aber auch grundsätzlich alles Abweichende, Unverstandene, Nichtidentische. Die mannmännliche Vergemeinschaftung dient der Abwehr dieser Angst.

Wie Klaus Theweleit in seinem Buch Männerphantasien anhand der Analyse von Briefen von Freikorps-Mitgliedern2 darlegt, wurde die (weibliche) Bedrohung der harmonischen Ordnung von den Männerbündlern als Unreinheit aufgefasst, was sich vor allem in den sprachlichen Bildern äußert, mit denen die Bedrohung beschrieben wird. Zentrales Bild ist dabei die weibliche Masse, die in allen möglichen Formen des Schmutzig-Flüssigen auftritt: als Flut, Schlamm, Blut oder Sumpf. In der psychischen Welt der Männerbündler gilt es, gegen all diese angsteinflößende Unreinheit und Verschiedenheit eine Abwehr zu errichten, in deren Zentrum „das Verbot jeder Vermischung (des Mannes mit der Frau, des eigenen Inneren mit dem Äußeren)“ steht.3 Diese Angst des männerbündischen Sozialcharakters vor jeglicher Vermischung – gewissermaßen ein ideologischer „Reinlichkeitszwang“ – zeigt sich nicht nur in der paranoiden Abwehr alles Weiblichen, sondern ist im gesamten völkisch-männerbündischen Weltbild von zentraler Bedeutung: im völkischen Rassismus, der mithilfe der sogenannten „Rassenhygiene“ eine „Blutsreinheit“ herstellen will, ebenso wie im Geschichtsrevisionismus, der durch das Sprechen über Auschwitz das nationale Wir „in den Dreck gezogen“ sieht, oder im männerbündischen Begriff der Ehre, die ständig in Gefahr ist, „beschmutzt“ oder „befleckt“ zu werden.4 Gegen die äußere Bedrohung muss der Männerbündler beständig Dämme errichten, sich gegen Mitgefühl verhärten und den eigenen männlichen Körper mit einem Panzer versehen, sodass er gegen die Fluten der weiblichen Masse und damit gegen jede „Verunreinigung“ gewappnet ist. Das Anlegen eines „Körperpanzers“ ist somit der Hauptzweck männerbündischer Vergemeinschaftung.

Regressive Vergemeinschaftung

Ein anderes Mittel, das schmerzhafte Bewusstsein der Unvollkommenheit der Welt zu verdrängen, ist es, das seiner Widersprüchlichkeit bewusste Ich durch ein kollektives Ich-Ideal zu ersetzen, ein Kollektiv – wie etwa das der Studentenverbindung –, mit dem eine bruchlose Identifikation möglich ist. In dieser regressiven Form der Vergemeinschaftung geht das Ich vollständig im Kollektiv auf: Wie in der Volksgemeinschaft macht der Einzelne „sich klein, um – als Teil des Großen – groß zu sein.“5 Als Integrationsmittel der schlagenden Verbindungsstudenten fungiert dabei das Konzept der Ehre, das im deutschen Männerbund eine herausragende Bedeutung hatte und hat. Dessen historische Wurzeln liegen im 19. Jahrhundert: Das Bürgertum übernahm damals den Ehrbegriff vom preußischen Militär-Adel und erkaufte sich damit den Eintritt in die „satisfaktionsfähige Gesellschaft“. Von Beginn an war dieser Ehrbegriff, im Gegensatz etwa zum französischen point d’honneur, mit paranoider Wehrhaftigkeit und aggressivem Virilismus aufgeladen.6 Er diente der sozialen Distinktion und, als Reaktion auf deren jeweilige Emanzipationsbestrebungen, als Abgrenzung gegen Juden und Frauen. Besonders taten sich dabei die Burschenschaften hervor, die, da sich ihre Mitglieder größtenteils aus dem mittleren Bürgertum rekrutierten, bei den adligen und großbürgerlichen Corpsstudenten und Offizieren um Anerkennung kämpfen mussten. Zu diesem Zweck etablierten sie ganz besonders „strenge Ehrenregeln für Mitglieder […], um ‘Schwächlinge’ und Feiglinge fernzuhalten und die äußere Reputation der Verbindung zu heben“.7 Der Ehrbegriff der schlagenden Verbindungen ist dabei stark formalisiert und rein äußerlich. Ehre bezieht sich hier nicht auf das individuelle Gewissen, sondern auf das äußere Ansehen des Kollektivs – der Studentenverbindung beziehungsweise der Nation: „Die Träger von Ehre sind dazu ‚verdammt‘, einem äußeren Idealbild zu gehorchen und das innere Ich daran anzupassen.“8 Dass die durch die kollektive Vergemeinschaftung ersehnte Identität jedoch keinesfalls bruchlos, sondern immer prekär und von Zweifeln und Ablehnung bedroht ist, zeigt sich auch an der Empfindlichkeit, mit der Verbindungsstudenten auf noch die kleinste „Ehrverletzung“ reagieren: „Gerade die deutsch-virile Ehre paranoider Gruppen gibt es nur als verletzte und darum immer mit Gewalt.“9

Die Mensur

Das Fechten mit scharfen Waffen nach im Pauk-Comment streng festgelegten Regeln, die Mensur, ist der Initiationsritus, „mit welchem die vollwertige Mitgliedschaft in der Blutsgemeinschaft oder im Lebensbund besiegelt wird“.10 Die Mensur ist dasjenige Ritual, das am deutlichsten der Abwehr der Angst vor (Geschlechter-)Differenz dient.

Mit ihr werden alle ‘weiblichen’ Charaktereigenschaften eliminiert11 und all jene verstärkt, die zum Anlegen eines „Körperpanzers“ nötig sind. Ziel in der Mensur ist das „Stehen“ – das Beherrschen der eigenen Angst, das Abtrainieren natürlicher Schutz- und Abwehrreflexe und das regungslose Aushalten von Schmerzen. Diese „Nehmerqualitäten“ sind wichtiger als Aggressivität und fechterisches Können. Dementsprechend ist die Gesichtsnarbe, der Schmiss, auch nicht Zeichen einer Niederlage, sondern vielmehr eine „Ehrenkerbe“12, die als Ausweis von Männlichkeit und Härte die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Satisfaktionsfähigen bezeugt. Wer hingegen vor einem Schlag zurückweicht, statt ihn regungslos zu ertragen, dessen Ehre gilt als „befleckt“ und der muss – um die angstbesetzte Verunreinigung zu beseitigen – eine gewisse Anzahl an sogenannten „Reinigungspartien“ fechten.

Sadismus und Masochismus gehen dabei Hand in Hand, wie sich deutlich an der Sprache zeigt, mit der Burschenschaften über die Mensur schreiben: etwa, wenn in einem „Hochschullexikon“ von 1931 beschrieben wird, wie ein kräftiger Schlägerhieb „erst am Knochen halt[macht], der auch noch oft genug ein Splitterchen hergeben muss“ und die Rede davon ist, dass im Laufe einer Mensur „einem Fechter eine ansehnliche Portion Blut abgezapft werden“ könne.13 Der männliche Sozialcharakter, der durch die Mensur hervorgebracht wird, „zeichnet sich vor allem in seiner deutsch-völkischen Variante durch Härte und moralische Indifferenz aus“.14 Die Mensur erzieht also zum autoritären Charakter, wie ihn Theodor W. Adorno so präzise beschrieben hat.15

Die Mensur ist dadurch ebenfalls zentral für die Herstellung von (pathologischer) Gemeinschaft im Männerbund. Denn die „Selbstzwänge, also auch das Gewissen,“ des in ihr ausgebildeten autoritären Charakter bedürfen, so Norbert Elias, „der Unterstützung durch den Fremdzwang einer starken Herrschaft […], um funktionieren zu können.“16 Anstelle der Verpflichtung auf das eigene autonome Gewissen stehen ‘deutsche Tugenden’ wie Opferbereitschaft, Unterordnung, Tapferkeit, ‘Schneidigkeit’ und Gehorsam. Mit der Mensur belegt der Verbindungsstudent die Bereitschaft, sogar seine körperliche Integrität für die Gemeinschaft zu opfern. Diese radikale Selbsterniedrigung ist Ausdruck des Antiindividualismus, der „rationalisierte[n] Furcht vor der Freiheit“17, deren Versprechen im Individuum angelegt ist. Die Wiener Burschenschaft Olympia etwa wendet sich „gegen die übersteigerten individualistischen und weltbürgerlichen Tendenzen der Aufklärung.“ Der „westliche Liberalismus […], dessen Ideal die bloße individuelle Freiheit ist“18 gilt ihr als Hauptfeind. Auch in der burschenschaftlichen Beschreibung der Mensur, wie etwa auf der Homepage der Bonner Raczeks, kommt diese Geringschätzung des Individuums zum Ausdruck: „Der Waffenstudent steht nicht nur für sich selbst, sondern für die Gemeinschaft. Die Ehre des großen Ganzen, von dem er nur ein Teil ist, wird hier wichtiger als das Risiko, sich selbst verletzen zu können.“19 Und die Wiener Olympen affirmieren: „Wird in einem Ritual absichtlich Blut vergossen, so bedeutet das in der Regel, daß der Wert, zu dessen Ehren das Blut fließt, höher geachtet wird als das Leben des Blutenden.“20 Jenes „große Ganze“, der „höhere Wert“, dem das Blut (und damit symbolisch das Leben) des Einzelnen geopfert wird, ist einerseits der Bund: Die Mensur, in unmittelbarer Nachfolge des Duells stehend, dient nach wie vor zur (Wieder)Herstellung der kollektiven Ehre – ein Bund, dessen Mitglieder erfolgreich zahlreiche Mensuren gefochten haben, erhöht dadurch sein Ansehen. Andererseits ist der „höhere Wert“, für den die Korporierten fechten, schon immer und in erster Linie die deutsche Nation: „Die Mensur wird bekanntlich nicht für sich selbst, sondern für den Bund oder ‚pro patria‘ geschlagen. Damit wird sie zum Symbol der Einsatzbereitschaft für die Gemeinschaft, fürs Vaterland.“21 Und so werden nebenbei auch all diejenigen ausgeschlossen, die nicht fürs „Vaterland“ kämpfen (wollen): In erster Linie natürlich Frauen, da diese vermeintlich qua Natur nicht die Fähigkeiten innehaben, die es für das Schlagen einer Mensur braucht22, und Juden, weil auf sie Eigenschaften wie ‘Verweiblichung’23 und ‘Wurzellosigkeit’ projiziert wurden, aber auch alle „schwachen“ Männer – Kriegsdienstverweigerer, Körperbehinderte oder Schwule.

Die Kneipe

Mit dem Begriff Kneipe wird das nach den militärisch-strengen Regeln des „Bier-Comments“ ablaufende gemeinschaftliche Biertrinken bezeichnet. Neben der Mensur ist die Kneipe das zweite zentrale Ritual schlagender Studentenverbindungen. Aber als zentrales Ritual männerbündischer Erziehung ist das streng formalisierte Trinken von Alkohol – in mehr oder weniger starkem Ausmaß – auch bei allen anderen korporationsstudentischen Männerbünden vorzufinden.24

Neben seiner grundsätzlichen Funktion als Flucht vor den Mühen und Sorgen des Alltags dient der Rausch im Männerbund immer auch als Mittel der Ersatzbefriedigung. Schließlich müssen sich seine Mitglieder im Dienste des ‘großen Ganzen’ die Erfüllung erotischer Bedürfnisse versagen und insbesondere latente Homoerotik aggressiv verdrängen.25 Das Trinken bedient außerdem eine Allmachtsphantasie: Im Rausch löst sich die Individualität auf und verschmilzt mit dem als omnipotent imaginierten Kollektiv. So verleiht das kollektive Ich-Ideal, mit dem das Ich im Rausch vereint ist, dem Einzelnen Macht und Stärke – um den Preis der Individualität. Das sowieso geringgeschätzte individuelle Gewissen wird suspendiert, wie auch die Korporierten selbst zugeben. In einer corpsstudentischen Zeitschrift heißt es etwa: „Der Rausch ist ein Zustand, in welchem wir – psychologisch gesprochen – das Auge unseres Über-Ich betäuben und gleichsam ‚ich‘ sein können, ohne der Kontrolle des Über-Ichs ausgesetzt zu sein.“26

Nur mit Hilfe von Alkohol kann das schwache Ich sein Über-Ich überwinden. Von einem Über-Ich, das ja verinnerlichte Autorität ist, kann dabei jedoch kaum die Rede sein. Beim „Gewissen“ der Männerbündler handelt es sich vielmehr nur um eine Summe von introjizierten Dressaten, also unreflektierten, dem Subjekt äußerlichen Verhaltensvorschriften. Da dieses Dressur-Gehorsam allein durch äußere Kontrolle, durch Bestrafung und Belohnung, aufrechterhalten wird, lässt es sich natürlich viel leichter mit Alkohol wegspülen als eine funktionierende, in selbstreflexiver Arbeit angeeignete Über-Ich-Instanz. Daran wird auch deutlich, dass es sich bei den Trinkritualen nur bedingt um bewusst eingesetzte Erziehungsmittel handelt. Sie sind vielmehr vermutlich eine Folge der hohen Verdrängungsleistung, die von den Mitgliedern des Männerbunds verlangt wird. Das Bedürfnis nach Enthemmung kann sich dadurch nicht mehr frei artikulieren, sondern nur noch in einem festen formalen Rahmen – nur da, wo es erlaubt ist. Diese Einhegung von Enthemmung und Abweichung durch strenge Normen spiegelt sich auch nicht zuletzt in der rigiden Sexualmoral, die im männerbündischen Milieu zumeist vorherrscht.

Die Bedeutung des Biers für die männerbündische Vergemeinschaftung zeigt sich auch an der Institution der „Bierfamilien“: Jeder neue Fux wählt sich einen Leibburschen, der ihn in die Rituale und Normen der Verbindung einführt. Im Laufe der Jahre bildet sich auf diese Weise eine intergenerative Gemeinschaft heraus, eine Familie ohne Frauen, die aber weiterhin die Verbindung als gemeinsames „Familienoberhaupt“ anerkennt. Ganz der Reinheitsphantasie der Männerbündler entsprechend, reproduziert sich die Bierfamilie aus sich heraus und ist somit Ausdruck der männerbündischen „Utopie der reinen Männergesellschaft“.27

Das exzessive Biertrinken dient jedoch nicht nur der Gemeinschaftsbildung, sondern ebenso wie das Fechten der Ausbildung oder Festigung des autoritären Charakters. Es gibt auf jeder Kneipe ein aus den Ältesten und/oder Trinkfestesten bestehendes Präsidium, das über die Einhaltung der Regeln des Bier-Comments wacht und dessen Anweisungen blind Folge zu leisten sind. Auch und gerade willkürliche und sinnlose Strafen und Regeln sind dabei von großer Bedeutung, denn sie dienen in ganz besonderem Maße dazu, das Ersetzen von moralisch angemessenem, am individuellen Gewissen orientiertem Verhalten durch klare Hierarchien und Regeln zu erlernen. Jegliche individuellen Bedürfnisse fallen in den Zugriffsbereich der übergeordneten Burschen. Die untergeordneten, insbesondere die Füxe, „lernen, die eigenen Grenzen und selbst ‘natürliche Bedürfnisse’ auszuschalten bzw. der Gemeinschaft ‘ohne wenn und aber’ zu unterstellen.“28 Im Trinken wird auf diese Weise unbedingtes Gehorsam eingeübt und eine harte, ertragende Männlichkeit ausgebildet. Die Trinkfestigkeit ist dabei das Pendant zum ‘Stehen’ in der Mensur.29

Schluss

Die korporationsstudentischen Rituale Mensur und Kneipe dienen also, wie sich gezeigt hat, einer regressiven Vergemeinschaftung der Identischen und der Ausbildung eines von Härte, Mitleidslosigkeit und Gehorsam geprägten Charakters. Beides jedoch, regressive Vergemeinschaftung und Ausbildung eines autoritären Charakters, haben zum übergeordneten Zweck die Abwehr der Angst vor Verschiedenheit. Und damit sind die Rituale der Studentenverbindungen – so fremdartig sie auch erscheinen mögen – auch Ausdruck der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und ihrer spezifisch deutschen Verhältnisse. Denn auf die Widersprüche und Antagonismen, die der Kapitalismus hervorbringt, wurde gerade in Deutschland schon immer vorzugsweise mit dem Wunsch nach deren falscher Auflösung in eine vermeintlich homogene und konkrete Gemeinschaft reagiert – eine Gemeinschaft, die ihre Widersprüchlichkeit verleugnet, sie auf ein ‘Anderes’ projiziert und in diesem verfolgt und bekämpft. Nicht eine Welt, in der man „ohne Angst verschieden sein“ kann, ist ihr Ideal, sondern eine Welt, in der Differenzen als „Schandmale“ gelten, „die bezeugen, daß man es noch nicht weit genug gebracht hat; daß irgend etwas von der Maschinerie freigelassen, nicht ganz durch die Totalität bestimmt ist“.30 Im korporationsstudentischen Männerbund und seinem ‘Brauchtum’ konstituiert sich idealtypisch eben eine solche, von allen Schwächen, Differenzen und Widersprüchen ‘gereinigte’ Gemeinschaft, die im Kleinen schon das verwirklicht, was sie im Großen anstrebt: Eine Volksgemeinschaft der Gleichen, in der alles Nichtidentische vernichtet ist.

Fußnoten

1Heribert Schiedel/Sophie Wollner: Phobie und Germanomanie. Funktionen des Männerbundes. In: HochschülerInnenschaft der Universität Wien (Hg.): Völkische Verbindungen. Beiträge zum deutschnationalen Korporationsunwesen in Österreich. Wien 2009, S. 102-125; hier: S. 104. (Online unter: http://www.oeh.univie.ac.at/fileadmin/FilesALTREF/voelk._verbindungen.pdf)

2Diese rekrutierten sich zu einem nicht geringen Teil aus Mitgliedern schlagender Verbindungen.

3Klaus Theweleit: Männerphantasien. Band I. München: DTV 1995, S. 419.

4Die männerbündisch-deutschen Reinheitsvorstellungen besitzen dabei immer eine sexuelle Dimension. Diese offenbart sich beispielsweise in Hitlers Aussage,bei „Aufgabe ihrer Blutsreinheit“ drohe die „Impotenz der Völker“(Adolf Hitler: Mein Kampf. 1936, S. 751. Zitiert nach: Paul Münch: Rassenreinheit. Zu Geschichte, Inhalt und Wirkungen eines anthropologischen Axioms. In: Peter Burschel, Christoph Marx (Hg.) Reinheit. Berlin: Böhlau, S. 421-462; hier: S. 447 (Fußnote 161).)

5Erich Fromm: Die autoritäre Persönlichkeit, S.2. Online unter: http://opus4.kobv.de/opus4-Fromm/frontdoor/deliver/index/docId/920/file/1957c-deu.pdf

6Zwar diente natürlich auch der Ehrenkodex des französischen Adels zur Herstellung kriegerischer Männlichkeit und zur Abgrenzung von allen Nicht-Satisfaktionsfähigen. Doch indem der Ehrbegriff mit der völkisch verstandenen Nation und deren vermeintlicher Bedrohung durch äußere Mächte kurzgeschlossen wurde, entwickelte er in Deutschland eine sehr viel größere Bedeutung und ein deutlich stärkeres antiemanzipatorisches Potential. (Vgl. Ute Frevert: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft. München: Beck 1991, S. 35ff.)

7Frevert: Ehrenmänner, S. 144.

8Robert Hettlage: Gewalt der Ehre – Ehre der Gewalt. Über gesellschaftliche Zusammenhänge von Gewalt und Ehre in der Moderne. In: Platt, Kirstin (Hg.): Reden von Gewalt. München: Fink 2002, S. 121–149; hier: S. 127.

9Schiedel/Wollner: Phobie und Germanomanie, S. 119.

10Ebd., S. 102.

11Die Mensur soll dazu dienen, „alle Weichheiten aus Kindheits- und Jünglingstagen abzustreifen, die dem Manneskampf ums Dasein nicht standhalten“. (Erich Wieprecht, wie Fußnote 16, S. 72)

12Erich Wieprecht: Das Fechten und Mensurwesen an deutschen Hochschulen. In: Michael Doeberl u.a. (Hg.): Das akademische Deutschland, Band II: Die deutschen Hochschulen und ihre akademischen Bürger. Berlin 1931, S. 63-76; hier: S. 70

13Ebd., Hervorhebungen von sub*way.

14Schiedel/Wollner: Phobie und Germanomanie, S. 116.

15„Die Vorstellung, Männlichkeit bestehe in einem Höchstmaß an Ertragenkönnen, wurde längst zum Deckbild eines Masochismus, der – wie die Psychologie dartat – mit dem Sadismus nur allzu leicht sich zusammenfindet. Das gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden soll, bedeutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderer gar nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart gegen sich ist, erkauft sich das Recht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen durfte, die er verdrängen mußte.“ (Theodor W. Adorno: Erziehung nach Auschwitz. In: Ders.: Kulturkritik und Gesellschaft I/II. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977, S. 674-690; hier: S. 682.)

16Norbert Elias: Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. ³1990, S.128.

17Schiedel/Wollner: Phobie und Germanomanie, S. 117.

18Thomas Wagner: Freiheit und Menschenwürde. Ausstellung zur Geschichte der Burschenschaft. In: Wiener akademische Burschenschaft Olympia (Hg.): Wahr und treu, kühn und frei! 130 Jahre Burschenschaft Olympia. Wien 1989, S. 51-79; hier: S. 56f. Dass dieser Antiindividualismus schon immer prägendes Element der deutschen Burschenschaften war, verdeutlicht ein Zitat Heinrich von Treitschkes. Der Vorreiter des bürgerlichen Antisemitismus in Deutschland, Mitglied der Bonner Burschenschaft Franconia, dankte seinem Bund in einem Brief für die Erfahrung „tätiger Teilnahme an einem größeren Ganzen“, die ihm in einer Zeit, „wo die Subjektivität sich so anmaßend hervordrängt“, besonders notwendig erschien. (zitiert nach Frevert: Ehrenmänner, S. 153).

19Homepage der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn: http://www.raczeks.de/%C3%BCber-uns/mensur-und-fechten/

20Werner Lackner: Die Mensur. Der rituelle Zweikampf deutscher Studenten. In: Wiener akademische Burschenschaft Olympia (Hg.): Wahr und treu, kühn und frei! 130 Jahre Burschenschaft Olympia. Wien 1989, S. 107-116; hier: S. 113.

21Ebd., S. 113f.

22Dafür braucht es nicht einmal Argumente, wie man auf der Internetseite der Bonner Raczeks nachlesen kann: „[…] Und letztlich sind wir ein pflichtschlagender Bund, damit fällt die Aufnahme von Frauen sowieso flach.“ (http://www.raczeks.de/h%C3%A4ufig-gestellte-fragen/)

23Häufig wurde ein Beleg für diese Projektionen darin gesehen, dass im Judentum das Opfer und damit auch der männlich-heroische (Opfer-)Tod verworfen wurden. Da es sich hierbei um antisemitische Projektionen handelte, ließen sie sich selbstverständlich auch nicht dadurch entkräften, dass zahlreiche Juden in schlagenden Verbindungen Mensuren fochten und im Ersten Weltkrieg ebenso zahlreich für das Deutsche Reich einen sinnlosen Tod starben.

24Auch in vielen anderen homosozialen Männergemeinschaften (z.B. Fußballfan-Gruppierungen, Stammtische, Männer-Cliquen, Junggesellenabschiede) gibt es ähnlich formalisierte Trinkzwänge, etwa in Form von Trinkspielen oder Wetttrinken. Die Funktion dieser Formalisierungen ist dort weitestgehend dieselbe wie in den korporationsstudentischen Männerbünden.

25Vgl. hierzu unseren Artikel zum Männerbund in dieser Broschüre.

26Zitiert nach Stephan Peters: Elite sein. Wie und für welche Gesellschaft sozialisiert eine studentische Korporation? Marburg: Tectum 2004, S.216.

27Alexandra Kurth: Männer – Bünde – Rituale. Studentenverbindungen seit 1800. Frankfurt a.M.: Campus 2004, S. 110.

28Dietrich Heither: Burschenschaften. Köln: Papyrossa 2013, S. 55.

29Die Ähnlichkeit zwischen beiden Ritualen zeigt sich auch an dem sexuell überdeterminierten Vokabular: Wer nicht mehr trinken kann oder will, wird in der Studentensprache als „bierimpotent“ bezeichnet.

30Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1973, S. 130f.